Dieter Axmann
Fachanwalt & Strafverteidiger
Hohe Strasse 11
44139 Dortmund
Tel. 0231 / 39603700
Fax. 0231 / 53314420
NOTFALLNUMMER 0151 / 21822975
Der BGH hat ein Urteil des Landgerichts Schwerin wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Teil eingestellt und wegen methodischer Mängel im Übrigen aufgehoben. Ein wesentliches Argument des BGH, um dieses Urteil aufzuheben war, dass sich das Tatgericht nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob das von den Zeuginnen geschilderte Tatgeschehen auf Scheinerinnerungen beruht oder nicht.
In diesem Zusammenhang für den nicht aussagepsychologisch vorgebildeten Leser eine Erörterung, was man unter Scheinerinnerungen in aussagepsychologischen Gutachten versteht:
Von Scheinerinnerungen spricht man insbesondere in aussagepsychologischen Gutachten im Sexualstrafrecht dann, wenn eine vermeintliche Opferzeugin oder ein Opferzeuge ein Tatgeschehen schildert, von dem sie oder er selber glaubt, es erlebt zu haben. Der Unterschied zu tatsächlichen Erinnerungen besteht aber darin, dass das Geschilderte nicht auf wirklich Erlebtem beruht. Bei Sexualdelikten erlebt man als Rechtsanwalt immer wieder, dass Scheinerinnerungen auf Auto- oder Fremdsuggestion beruhen. Ursachen für Fremdsuggestion sind zum Beispiel Psychotherapien oder Suggestivbefragungen. Autosuggestion ist zum Beispiel dann möglich, wenn eine Person sich intensiv selbst mit der Frage beschäftigt, warum sie selber Persönlichkeitsauffälligkeiten zeigt, unter denen sie glaubt, zu leiden. Bei der Suche nach der Ursache kann dann oftmals nicht ausgeschlossen werden, dass eine Erinnerung als Opfer einer Sexualstraftat entsteht.
Das Typische an den Scheinerinnerungen im Sexualstrafrecht ist, dass die vermeintlichen Zeugen in ihrer eigenen Wahrnehmung glauben, dass das erinnerte Sexualdelikt aber tatsächlich stattgefunden hat. Daher spricht man hier von Scheinerinnerungen.
Das Landgericht hat insgesamt drei Sachverständigengutachten eingeholt. Ein aussagepsychologisches Gutachten war bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft eingeholt worden.
Das vorbereitende schriftliche Gutachten dieses Gutachters zog die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin in Zweifel. Diese Zeugin war, nachdem sie Kenntnis von dem Gutachten erlangte „entsetzt“. Die Nebenklagevertreterin regte daher an, ein weiteres Gutachten zu der Frage der Erlebnisbasiertheit der Aussage dieser Zeugin einzuholen. Die Staatsanwaltschaft holte daher ein weiteres Gutachten von der Gutachterin ein, die die Nebenklagevertreterin vorgeschlagenen hatte. Weiterhin nahm diese Gutachterin methodenkritisch zu dem bereits vorliegenden Gutachten Stellung.
Es war nach beiden Gutachten möglich, dass bei dieser Zeugen Scheinerinnerungen vorliegen. Die zweite Gutachterin kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die belastenden Aussagen dennoch erlebnisbasiert seien.
Das Landgericht ist den Ausführungen des ersten Sachverständigen nicht gefolgt, der die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin in Zweifel gezogen hat, sondern stützte das Urteil auf das davon abweichende Gutachten der zweiten Sachverständigen. Dies ist – so der BGH – nicht haltbar. Der BGH stellt erhebliche methodische Mängel in der Entscheidung des Landgerichts fest.
Rechtsanwalt Dieter Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat bereits Hunderte von Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und ist Spezialist im Sexualstrafrecht.