Dieter Axmann
Fachanwalt & Strafverteidiger
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In bestimmten, minder schweren Fällen von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern kann der Strafrahmen niedriger und damit die Höchststrafe geringer ausfallen. Der Bundesgerichtshof hat vor Kurzem erneut klargestellt, unter welchen Voraussetzungen diese Regelung aus § 176a Absatz 4 Strafgesetzbuch Anwendung finden kann.
Nachdem das Landgericht Essen einen Angeklagten unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt hatte, führte dessen Strafverteidiger die Revision beim Bundesgerichtshof durch. Der 4. Strafsenat des BGH verwarf die Revision als unbegründet. Wesentlich ist jedoch, dass der BGH diese Entscheidung zu Klarstellungen zum Vorliegen eines minder schweren Falls des sexuellen Missbrauchs von Kindern nutzt. Liegt ein minder schwerer Fall vor, ist die Anwendung eines geringeren Strafrahmens für sexuellen Missbrauch von Kindern vorgeschrieben (§ 176a Absatz 4 StGB).
Der BGH sorgte sich, dass die Urteilsbegründung der Essener Strafrichter eine Maßstabsverengung enthielt. Er stellte klar, dass ein minder schwerer Fall nicht als „seltener Ausnahmefall“ und unter außergewöhnlichen Umständen vorliegen kann. Vielmehr ist dem Revisionsbeschluss zufolge ein minder schwerer Fall von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern dann gegeben, wenn „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit“ vom erfahrungsgemäßen Durchschnitt der Fälle so weit abweicht, dass der Ausnahmestrafrahmen geboten erscheint (BGH, 12. 05. 2021 – 4 StR 113/21).
Für die Strafzumessung des in Essen verurteilen Sexualstraftäters machte diese Klarstellung keinen Unterschied. In anderen Sexualstrafverfahren und für die Verteidigung gegen den Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern ist sie jedoch sehr wichtig, führt der minder schwere Fall doch zu einem niedrigeren Strafrahmen und letztlich auch zu einer geringeren Strafe.
Bereits in einer Revisionsentscheidung im Jahr 2010 hatte der erste Strafsenat des BGH eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Freiburg verworfen. Die Staatsanwaltschaft hatte strafmildernde tat- und täterbezogene Erwägungen bei der Strafzumessung beanstandet (BGH, 13. 07. 2010 – 1 StR 277/10). Als Straftatbestände hatte das Landgericht Freiburg sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen in 38 Fällen festgestellt, davon in 37 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, außerdem Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung. Als Gesamtstrafe war eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Strafkammer des Landgerichts hatte bei der Strafzumessung die gegen den Angeklagten sprechenden Aspekte wie den besonderen Vertrauensbruch, die hohe Zahl und das Gewicht der sexuellen Handlungen sowie den langen Tatzeitraum berücksichtigt, die Tatfolgen jedoch als „nicht außergewöhnlich schwer“ eingestuft und den niedrigeren Strafrahmen für einen minder schweren Fall angewandt. Dabei hatte es berücksichtigt, dass der Angeklagte keine Vorstrafen hatte, sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterzog, die Taten bereit fünfeinhalb bis acht Jahre zurücklagen und der Täter den sexuellen Missbrauch umfassend gestanden hatte.
An diesen Beweggründen stellte der BGH keine Rechtsfehler fest. Das Gleiche galt für die positive Bewertung des Umstands, dass der Angeklagte seine Taten eingestellt hatte, nachdem das Mädchen sich erstmals widersetzt hatte. Das Landgericht war berechtigt, darin eine strafmildernde „Rückkehr zur Rechtstreue“ zu sehen, aufgrund der „Vielzahl allgemeiner Milderungsgründe“ besondere Umstände anzunehmen und eine zweijährige Bewährungsstrafe zu verhängen.
Schließlich wies der BGH in einem dritten Fall darauf hin, dass ein Zungenkuss für eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht ausreicht, auch nicht als minder schwerer Fall. Deshalb hob es die Verurteilung eines Angeklagten durch das Landgericht Kassel in diesem Punkt auf (BGH, 14. 04. 2011 - 2 StR 65/11). Das Landgericht hatte den Angeklagten für vier Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu insgesamt drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Ein Vorfall, bei dem ein Mann einem siebenjährigen Mädchen einen Zungenkuss gab, war für das Landgericht kein minder schwerer Fall von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGBw, sondern sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB. Ein Zungenkuss sei zwar mit „Eindringen in den Körper“ verbunden, doch er stelle keine „beischlafähnliche Handlung“ dar.
Rechtsanwalt Axmann ist Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat bereits Hunderte von Mandanten gegen den Vorwurf von Sexualdelikten verteidigt und ist Experte im Sexualstrafrecht.